„Das Wir ist wichtig!“

Der Himmel über Eisenach strahlt gerade blau 

Misha Kaufmann und sein Torjäger Manuel Zehnder

Es gibt so einen Stein, in der Nähe. Misha Kaufmann läuft gern mal dorthin, auch wenn es dafür hoch geht. Oder gerade deshalb. Von dort lässt sich vieles gut sehen, alles ordnen. Der Himmel wirkt nah, der Blick zum Boden ankert. Das ist etwas, was den Schweizer fesselt, nicht zuletzt, wenn er aufs Telefon schaut.

Er sieht die Wartburg. Misha Kaufmann hat sie bewusst als Profilbild gewählt. „Sie hat Charakter“, findet er. Regen, Schnee und Sturm arbeiten sich über Jahrhunderte an den Mauern an. Sie sind trotzdem da, sie vermitteln Sicherheit. Und sie erinnern an Wurzeln.

Wenn der Schweizer darüber redet, denkt er weniger, was so nah von der Wohnung im Eisenacher Herzen ist. Sondern auch an die Ferne. An Arch, an die Töchter Anastasia (6), Kristina (11), an seine Frau Dragica. Dass sie vor Kurzem nach Eisenach zu seinem 40. Geburtstag gekommen sind, bedeutet ihm viel.

Der Handball-Lehrer genießt gemeinsame Zeit. In Thüringen, häufiger daheim. Das Haus in Arch hat er vom Vater übernommen. Es ist Heimat, Energiequelle. Weihnachten gehört dazu – mit Fondue, viel Reden und freilich mit Tüfteln. Eine kreative Gabe scheint Misha Kaufmann gegeben. Der Vater ist Architekt gewesen. Offene Küchen sind sein Vermächtnis, mit Nischen. Es sind die Details, die Gutes zu Besonderem machen können. Misha Kaufmann bekommt es in die Adern gelegt wie die Leidenschaft für Handball. Zusammen schauen Vater und Sohn sonntags die Bundesliga. Sie fasziniert. Sie lässt den Junior vom Weg in die „stärkste Liga der Welt“ träumen.

Dass er seit vergangenem Sommer dort ist, nach 20 Monaten in Eisenach, macht den früheren Top-Angreifer der Nationalliga stolz und demütig. Es ist ein eingelöstes Versprechen an den verstorbenen Vater – und ein kurvenreicher Weg gewesen.

Breite Schultern, ein Kerl wie ein Baum. Und Misha Kaufmann weiß, wo das Tor steht. Schlenzer, Schlagwürfe, die kann er. 300 Tore in einer Saison wie 2008/09 stehen in der Vita; aber auch vier Kreuzbandrisse, ein frühes Karriereende, ein zeitiger Einstieg ins Trainerleben. Schon der Weg zum Aufstieg mit Suhr-Aarau zum Meister ist einst voller Hindernisse.

Dass die Eisenacher mit vielen Verletzten, Rückschlägen und Aufholjagden im Juni 2023 aufgestiegen sind, verbinden einige mit einem „blauen Wunder“. Das eigentliche Wunder an der Wartburg war gerade ein anderes. Die Mannschaft mit dem wenigen Geld, der zweitkleinsten Halle und der Prognose, gleich wieder eine Etage tiefer zu müssen, spielt auch nächste Saison im Konzert der Großen. Die Mentalitätsmonster widersprachen allen Experten. 

„Die Kunst ist, einen Weg zu finden.“ Kaufmann umreiß so seine Spiel-Idee. In der Szene wird sie oft mit unorthodox umschrieben, für einige kann sie als Art Blaupause taugen. Es geht für ihn um Lösungen, wie die prominente Gegnerschaft von seinem Team vorwiegend aus früheren Zweitliga-Aktiven zu überraschen wäre.

Eine spiegelt sich in Ländern und Vereinen. Damit bezeichnet der Trainer seine entwickelten Züge. Es sind Abwehrzüge – und in Verbindung mit festen Regeln der Schlüssel seines Systems. Kaufmann lässt in Varianten extrem früh angreifen, dass sich Parallelen zum Eishockey oder modernen Fußball auftun.

Nicht immer geht das Vorhaben auf, weil es Kraft kostet und Raum eröffnet, die individuelle Extra-Klasse einladen kann. Aber oft bringt es dem Außenseiter Chancen, die Richtung der Partie selber zu bestimmen.

Das offensive Verteidigen hat einen psychologischen Hintergrund. Funktioniert die Abwehr, ist der Angriff nicht permanent unter Druck, liefern zu müssen, findet der Vollblut-Handballer. In der Schweiz hält Kaufmann Vorträge. Mit der Idee und dem Mut des Neulings geht er voll auf Angriff. Das beeindruckt. Magdeburgs Bennet Wiegert hat den ThSV-Mann als Trainer des Jahres vorgeschlagen.

Ein Neuling ganz oben? Es klingt wie ein Märchen zu einer bemerkenswerten Geschichte. Für den früheren Rückraumstrategen wäre das nur ohne Klassenerhalt kaum etwas wert. „Das Wir ist wichtig.“

Misha Kaufmann denkt aber nicht an Morgen, sondern daran, heute den Weg zum Morgen zu gestalten. „Man sollte nach den Sternen greifen.“ Er sagt es, denkt es und er strebt danach, weil es genügend gäbe, die es nicht tun.

Der Himmel über Eisenach strahlt gerade blau.

 

Misha Kaufmann mit Nikola Bilyk vom THW Kiel
Misha Kaufmann am DYN-Mikrofon